Mein Kuchen
Fertig: das erste Heft des neuen Jahres bis auf den letzten Punkt! Das schreit nach einer Belohnung. Frauentypisch
stehen zwei zur Auswahl: Sündigen oder Shoppen! Ich entscheide mich für die kalorienreiche Variante. Also PC aus,
Jacke an und auf dem Heimweg beim Bäcker des Vertrauens halten. Und dort bin ich anscheinend nicht die einzige
mit derartigen Gelüsten, wie die lange Schlange vor der Theke zeigt. Zwischen geduldig Anstehenden aller
Altersgruppen erhasche ich einen Blick auf die Auslage. Und dort, zwischen Quarkmandarinenschnitte und
Schokosahnetorte strahlt es mich an: das letzte Stück Zupfkuchen. Meins! Ich stelle ich mich an und hoffe mutig,
bete inständig, dass keiner vor mir auf meine Idee kommt. Nach und nach wandern Teigwaren aller Couleur über
die begummihandschuhten Hände der Verkäuferin in die der Kunden. Und schließlich auch mein Kuchen in meine
Tasche. Ja, heute ist mein Tag! Mein Siegerlächeln und ich machen uns mit der wertvollen Beute davon und insze­
nieren das Objekt der Begierde knappe zwanzig Minuten später mit einem halben Liter Milchkaffee zu einer hei­
mischen Haste­dir­verdient­Kaffeetafel. Perfekt.
Und dann klingelt es. Och nicht doch! Ich öffne die Tür und nur Sekunden später stampft meine Schwester samt
siebenjähriger Anhängsel in Form ihres Nachwuchses und dessen bester Freundin die Treppe rauf: Man war in der
Nähe und wollte mal „Hallo“ sagen! Und eine der Zwerginnen müsste auch mal. Ja klar, kommt rein. Die eine Kleine
fragt nach dem Bad, die andere stürmt ins Wohnzimmer. Und noch bevor ich Böses ahnen kann, kräht´s: „Mama,
kann ich auch ein Stück Kuchen!“ Neiiin! kreischt meine innere Stimme, stürmt hinterher und kommt vor der Mini­
madame zum Stehen, die sich die Lippen leckend um meinen Kuchenteller tänzelt. Ich werfe meiner Schwester
einen Blick zu, der fleht: „Bitte nicht, das ist das doch das einzige Stück und ich hab mich so drauf gefreut.“ Sie ant­
wortet mit: „Na, wenn du deine Tante ganz lieb fragst, bekommst du bestimmt etwas ab.“ Der Dreikuchenhoch
dreht sich zu mir und dackelblickt mich an, schmilzt mit ihrem Zahnlückenlachen jedes mögliche Nein. Ich erspare
mir den erbärmlichen Versuch eines `Das schmeckt dir doch eh nicht` und gebe mich geschlagen. Es ist ja ein relativ
großes Stück und geteilte Kalorien sind halbe Kalorien. Ich gehe zum Schrank, um einen zweiten Teller und das
Kuchenmesser zu holen, und höre, wie mein Schwesterherz hinter meinem Rücken Zwergin Nummer zwei, die grad
von der Toilette kommt, fragt: „Willst du auch ein Stück davon?“ Was? Fassungslos drehe ich mich um. Mit diesem
Kind bin ich doch nicht mal verwandt. Unbedarft mutternd nimmt die Großzügige mir das Messer aus der Hand
und zerteilt das teigige Corpus Delicti in zwei kinderkleine Stücke. Das war´s. Hilflos muss ich zusehen, wie mein
Kuchen nun von zwei Halbwüchsigen verschlungen wird. Also teilweise, der Einen schmecken die Schokostreusel
nicht. Sie zerpult die Quarkschicht und baut Streuselberge am Tellerrand. Ich fühle mich selbst wie ein Kind – eines,
demman den Lolli geklaut hat – und klammere mich an meinen Milchkaffee. Erwachsen sein ist manchmal wirklich
hart! Gegen Kinderkulleraugen kommt man einfach nicht an. Man schimpft nicht, wenn sie versehentlich die ge­
erbte Schneekugel runter geworfen haben, verlässt kurz nach Beginn des Films anstandslos wieder das Kino, weil
sie einfach nicht mehr möchten und überlässt ihnen das einzige Stück Kuchen.
Stimmengewirr reißt mich aus meinen Gedanken: Man ist jetzt satt und möchte nach Hause. So schnell die Invasion
der Krümelmonster über mich kam, so schnell hat sie sich verabschiedet und ist schon wieder die Treppe runter.
Ich räume die Teller ab, und verfrachte die übriggebliebenen Schokostreusel in den Müll – ein bisschen Stolz hab
ich auch. Via Internet widme ich mich Belohnungsvariante zwei: Wird’s halt doch ne neue Hose.
Schussi, eure Mamu
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